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Mild und sanft weht der böhmische Wind, und ebenso hat Dora ihre Kindheit in Erinnerung. Aus dem nordböhmischen Tetschen-Bodenbach (heute Decin) stammend, wuchs die 1933 Geborene wohlbehütet auf, während ihre Eltern um das täglich Brot, ein sicheres Dach über dem Kopf und später gar um ihr Leben kämpfen mussten. Doras weit verzweigte Familie war wie das vieler anderer Deutscher durch die politischen Geschehnisse von Faschismus und Krieg geprägt. Am 8. Mai 1945 war für sie der Zweite Weltkrieg noch lange nicht vorbei. Eine letzte Bombe zerstörte ihr Haus, und später mussten sie die Heimat ganz und gar verlassen. Der böhmische Wind wehte sie in verschiedenste Richtungen............


 

Mit Doris Förster (rechts) beim Korrekturlesen 

Leseprobe


An jenem Frühlingstag also zogen die Mädchen mit ihrer Führerin, einem etwas älteren BDM-Mitglied, zum Pfaffenberg hinauf. „Ihr wisst, dass unser Führer Adolf Hitler bald Geburtstag hat und wir deshalb die Texte und das Singen einiger Lieder üben müssen.“ Sie stellten sich also auf der Lichtung des Berges in einem Halbkreis auf und begannen mit ihren Gesangsübungen. Vorher wurden die Strophen gesprochen und wiederholt. In einer hieß es:“...Deutschland, du wirst leuchtend stehn, mögen wir auch untergehn...“ Die Führerin verfiel jedoch in einen großen Irrtum und sagte: „...Deutschland, du wirst untergehn, mögen wir auch leuchtend stehn...“ Alle Kinder sprachen und sangen ihr das so nach. Keinem wurde bewusst, mit welcher sinnentstellenden Verwechslung sie es hier zu tun hatten. Zu Hause trällerte Dora das Lied vor sich hin. Else, welcher der Text an bewusster Stelle sofort auffiel und auf makabre Weise ehrlich erschien, sagte: „Da stimmt etwas nicht, Dora!“ Aber das Kind behauptete, dass es so bestimmt richtig sei. Die Mutter blieb jedoch voller Zweifel.

Zu Führers Geburtstag kam es zu einem heftigen Auftritt: Direktor Kaatz stand uniformiert auf dem kleinen Platz vor der Schule, verkündete mit aufgeblähtem Hals seine Lobesworte auf den Führer, dann wurde die Fahne gehisst und die Viert- und Fünftklässler sangen. Sie sangen mit großer Inbrunst: „Deutschland, du wirst untergehn, mögen wir auch leuchtend stehn...“ Direktor Kaatz brüllte ohne Verzögerung: „Aus! Aus!“ Er kam dem kleinen Chor beängstigend nahe, packte die BDM-Führerin am Arm und schrie sie an: „Du Regimentsgans, du! Hast du das denen so beigebracht?“ Sie schaute ihn mit verständnislosen, starren Augen an. Direktor Kaatz schickte das Mädchen, das vielleicht 15 oder 16 Jahre alt sein mochte, mit den Worten weg: „Das hat noch ein Nachspiel, das verspreche ich dir!“ Oberlehrerin Wittel übernahm jetzt den Chor. Er sang zum Schluss: „Ich hatt’ einen Kameraden, einen bessern find’st du nicht...“, und allen war dabei recht traurig zumute, ganz und gar nicht wie bei einer Geburtstagfeier.

 

Der autobiografische Roman von Doris Förster „Das Lied vom Böhmischen Wind“ erschien 2008 im Frieling-Verlag Berlin.

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    Hörfunkbeitrag,      gesendet im MDR